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Grégoire & Stephan (°1)

„Wenn du willst, komm vorbei Grégoire.“ Er lächelte, schelmisch und frivol beinahe, zwinkerte mir zu und griff sich an die Mütze. „Und sorg dafür, dass er wieder schreibt, dieser verkappte Schriftsteller.“ Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Also schaute ich ihn an, diesen Mann, der mir trotz all‘ der Jahre immer noch so fremd geblieben war, und nickte und sagte leise: „Ja Papa.“ Er schlug die Hacken zusammen, klopfte mir, wohl in dem Versuch seiner väterlichen Zuneigung Ausdruck zu verleihen, ein wenig unbeholfen auf die Schulter und nahm seinen Spazierstock wieder zur Hand. „Und bring Stephan mit, morgen.“, rief er mir noch zu, als er schon an der Ecke war. Weder drehte er sich noch einmal um, um meine Antwort abzuwarten, noch hegte er den geringsten Zweifel, dass man seiner Aufforderung nachkommen würde, er rief es mir zu, hinein in den luftleeren Raum zwischen uns, und verschwand.

 

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– Stephan?

– Hm?

Er dreht sich nicht um, er drückt den Ton in das Kissen, auf dem sein Kopf liegt. Ich folge meinem inneren Impuls und fahre ihm durchs Haar, meine Finger tauchen durch das Braun seiner Locken.

Papa hätte gern, dass du kommst.

Ich räuspere mich.

– Morgen.

– Aha.

Stille.

Irgendwo in mir seufzt es. Ich wusste, dass er so reagieren würde. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken. Und irgendwo bewundere ich ihn, ich kann es nur nicht zugeben. Weil er das kann, er kann da stehen und meinem Vater ins Gesicht blicken und ihm seine Meinung sagen. Er macht es meistens nicht, mir zuliebe, das weiß ich, aber wenn er wirklich wollte und wenn er anders dürfte; er würde sofort alles sagen, was er da hält, zurückhält in seiner Brust.

– Grégoire?

Manchmal bricht es heraus aus seiner Brust, wenn da zu viel ist in ihm, wie damals, als er aufgestanden war, einfach aufgestanden und aus dem Raum gegangen. Die weißen Teller hatten geklirrt, das silberne Besteck, das gute, war gegen das Porzellan gestoßen und der Wein in der Karaffe auf dem Tisch hatte sich bewegt. Die Tür war ins Schloss gefallen, laut und hart. Ich hatte darauf bestanden seinen Teller stehen zu lassen, obwohl ich ihn gut genug kannte, aber es war der meine, und der gleichermaßen lächerliche Versuch, den Dingen nicht in die Augen blicken zu müssen. Stephan kam nicht wieder, nur die Nacht irgendwann, sie setzte sich in den Himmel, zwischen die Wolken und schaute mir zu, wie ich Holz aus dem Schuppen holte, und nachlegte im Kamin. Sie setzte sich auf die Fensterbank irgendwann, die Nacht, und fragte sich wohl, warum ich meinem Geliebten nicht hinterhergelaufen war, warum ich hier saß, in meinem Stuhl vor dem Kamin, mit einem Buch in der Hand, in dem ich sowieso nicht wirklich las, weil meine Gedanken so weit weg wanderten. Er ist bestimmt noch draußen, dachte ich, er rennt jetzt bestimmt die halbe Nacht im Dunkeln umher. Hoffentlich bricht er sich nichts. Ich kannte die bretonischen Berge und die Steine, die man nicht sieht, und die man nicht sehen kann, wenn man nicht über sie gestolpert ist seit Kindertagen. Ich schaute sie an, die Nacht, die da draußen auf der Fensterbank saß, und sie schaute zurück, und dann erschraken wir beide, weil wir plötzlich erkannten, wo wir in diesem Augenblick eigentlich hätten sein sollen.

Die Katze sprang auf die Fensterbank und die Nacht verschwand, sie flog zurück in den Himmel und setzte sich wieder zwischen die Wolken.

Ich hörte Schritte, und spürte, dass mein Herzschlag sich beschleunigte, in der leisen, aber wie mein Kopf sagte, unbegründeten Hoffnung, Stephan könnte da jeden Moment zur Tür hereinkommen. Aber es war nur meine Mutter. Sie hatte Kartoffeln aus unserem Kartoffelkeller geholt, für die Suppe morgen, und sie nahm das Brett von der Wand, das große Holzbrett, auf dem wahrscheinlich schon die Mutter ihrer Mutter Kartoffeln und Karotten geschnitten hatte, nachdem sie sie, wie es Arianne jetzt auch tat, gewaschen hatte im stahlsilbernen Spülbecken der Familie Acieraux.

Papa will, dass du wieder schreibst.

– Aha.

Er schaut mich an, er hat sich aufgerichtet in einer einzigen, fließenden Bewegung und das Licht, das durch das Dachkammerfenster hereinfällt, zeichnet das Spiel seiner Muskeln nach, klar und hell.

– Und was willst du? He?! Grégoire?

Seine Stimme wird lauter, ich habe das kommen sehen, und der Griff seiner Hände im weißen Laken fester.

– Grégoire, was willst du?!

Seine Augen funkeln mich an, grün, sie sind grün gewesen immer schon, und immer muss ich denken an die Berge und das Gras und das Heuen im Sommer, wenn ich sie sehe, diese Augen. An den Frühling. Und die Lust.

– Du kennst ihn doch, … du weißt doch, wie er ist…

– Achso, ja, das stimmt natürlich, Grégoire, das hätte ich ja beinahe vergessen.

Blanker Hohn spricht aus seiner Stimme und das Weiß seiner Fingerknöchel ist jetzt fast so scharfklar, wie das Licht auf seinem Körper. Sein Blick ist kalt und verständnislos.

– Warum? Warum muss ich immer Rücksicht auf ihn nehmen?! Warum nimmt nicht mal einer von euch das Wort, warum nehmt ihr es ihm nicht ein einziges Mal?! Ja, ich weiß: ‚Stephan, du musst Rücksicht nehmen, du musst das verstehen‘ … warum nimmt denn keiner mal Rücksicht auf deine Mutter, deine Schwester?

Er ist aufgesprungen, seine Worte sind ein lautes Schreien geworden, ein Crescendo der Wut, einer Wut, die seit Jahren wächst aus der Ohnmacht, die er wohl empfinden muss bei all dem.

Er zieht sich an. Vergisst sich zu rasieren, später wird er sich darüber ärgern, das weiß ich genau, aber er wird nicht zurückkommen, dafür ist er zu stolz.

Stephan zieht sich die Jacke an, die braune, seine Lieblingsjacke, er schnürt seine Stiefel, dafür nimmt er sich immer Zeit und Ruhe, er tut es mit Bedacht. Dann zwirbelt er seinen Schnurrbart vor dem Spiegel, dreht sich zu mir um und flüstert tonlos: »Dass man auf uns keine Rücksicht nimmt, erwarte ich ja gar nicht mehr.«

 

Er gibt mir keinen Kuss, er sagt mir nicht, dass er an mich denken wird, den Tag über. Er geht hindurch, durch die Tür, und macht sie zu hinter sich. 

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