Ole Frederik Petersen


Er hatte es nie wieder wirklich versucht, das mit der Liebe. Und jetzt war er zu alt dafür.

 

*

 

Er saß an seinem Küchentisch. Die Uhr tickte. Leise, aber er hörte doch deutlich, wie die Zeit verging. Vergehen, dachte er. Er blieb hängen bei diesem Gedanken. Sah vergilbte Papierblätter in züngelndem Kaminfeuer untergehen. Hörte das Holz knistern, ein Funke stob empor. Er brannte sich in seine Kleidung. Es störte ihn nicht.

Er sah auf die alte Wolljacke hinunter. Gehen, dachte er. Das helle Braun der Wolle erinnerte ihn an den Strand und die Kinder. Gehen, dachte er wieder, und spürte, wie das klarkalte Wasser seine nackten Füße umspülte.

Alles vergeht, Alter, sagte er zu sich. Er seufzte. Der Kühlschrank summte. Die Uhr tickte. Alles verging.

 

*

 

Er schloss die Tür ab. Für jedes Schloss hatte er einen anderen Schlüssel. Ole Frederik Petersen hatte fünf Türschlüssel. Er mochte jedes einzelne Schloss. Er hatte sie nacheinander gekauft, in jeder Woche ein neues. Das erste hatte er sich vom Handwerker neu einsetzen lassen, er wollte auf Nummer sicher gehen. In der Nachbarschaft war eingebrochen worden. Das hatte er von der Nachbarsinge gehört. Sie kam manchmal herüber, auch wenn sie der Meinung war, dass sie jeden Samstag herüberkam. Um nach dir zu schauen, sagte sie dann immer. Lass gut sein Inge, sagte er dann immer. Und ging in den Garten. Die Nachbarsinge kletterte dann über das kleine Gartentürchen. Das war natürlich auch abgeschlossen, man wusste ja nie, woher die Diebe kamen. Und Ole Frederik Petersen wollte auf Nummer Sicher gehen. Er wollte nichts dem Zufall überlassen. Nur gegen den Starrsinn der Nachbarsinge wusste er sich nicht zu helfen. Sie kam immer, mit einem Weidenkorb unter ihrem rechten Arm, einem leichten Lächeln auf den Lippen und einer Flasche Preiselbeersaft in ihrer linken Hand. Manchmal war es auch Erdbeer-, Brombeer- oder Johannisbeersaft. Er las die Schilder auf den Flaschen nicht wirklich. Und er hörte der Inge auch nicht wirklich zu. Er sah weder ihr Lächeln, noch ihren Duft, der dann durch das Haus schwebte, tagelang noch, nachdem sie da gewesen war.

Ole Frederik Petersen sah nicht mehr gut. Besonders seitdem seine Frau die Kinder mitgenommen hatte, damals, neun Jahre war das nun schon her. Neun lange Jahre. Sie fühlten sich an wie neunzehn. Ole Frederik Petersen, sagte er manchmal zu sich, wenn er alleine durch seinen Rosengarten ging, Ole Frederik Petersen, du bist ein trauriger alter Mann geworden. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er darum wusste. Im Gegensatz zu den vielen alten Männern, die er sonntagsmorgens in der Kirche sitzen sah, grau, matt und blass. Aber diese Männer wussten nicht, dass sie alle traurige alte Männer geworden waren. Da nützte es ihnen auch nichts, dass sie noch eine Frau und Kinder hatten. Ole Frederik Petersen taten sie leid, diese Männer, vor allem die, die noch dazu eine Geliebte hatten. Sie denken alle, sie seien glücklich. Er kannte die trügerische Illusion des Glücks. Ole Frederik Petersen kannte das Glück. In all seinen Facetten. Er hatte viel davon gehabt, er hatte es gut kennenlernen dürfen in seinem Leben. In seinen jungen Jahren, wie nah war er ihm da gekommen, dachte er heute.

Wenn er sonntagsmorgen in der harten Kirchenbank saß und die Familie Midsommer sich unter dem rügenden Blick des Pastor Mads in die letzte Kirchbank drückte, stieg ihm das Wasser in die Augen.

Pastor Mads hielt den Ole Frederik Petersen für einen guten und gottesfürchtigen Mann, er kam jeden Sonntag zur Messe. Er war der erste in der Kirche, er war der letzte in der Kirche. Und das seit neun Jahren. Immer, wenn der Pastor Mads am Sonntagmorgen die heilige Messe vorbereitete, war der Herr Petersen schon da. Er saß dann immer bei den Kerzen, vor der Maria. Und dann kniete er sich hin. Und dann stand er auf. Aber gehen tat er nicht. Er stand dann da, noch eine ganze Weile, bis er sich dann in die erste Kirchenbank setzte, immer genau vierzehn Minuten bevor die heilige Messe begann. Dem Pastor Mads war aufgefallen, dass der Herr Petersen immer ganz wässrige Augen bekam, wenn er die Messe eröffnete.

Ole Frederik Petersen wusste, dass der Pastor Mads nun dachte, die Messeröffnung rühre ihn zu Tränen. Er fand es schön, dass der Pastor Mads das dachte, das Glück zeigt ihm das noch anders. Und das früh genug. Denn was der Pastor Mads über das Wasser in den Augen des Ole Frederik Petersen nicht wusste, was er nicht wissen konnte – es war nicht die Messeröffnung oder die Feierlichkeit der Liturgie, die das Wasser in den Augen des Ole Frederik Petersen in die Höhe trieb. Es war der Anblick der Familie Midsommer, jeden Sonntagmorgen aufs Neue. Ole Frederik Petersen musste dann immer alles zusammennehmen, um nicht hemmungslos zu weinen. Er nahm dann immer alles zusammen. Und weinte, da er wieder zuhause war, in seinem Rosengarten, nach der Messe. Ole Frederik Petersen weinte, weil er wusste, dass das Glück der Familie Midsommer flüchtig war. Es würde kaputt gehen, so wie alles kaputt ging.

Gehen, vergehen, untergehen, dachte er dann immer bei sich.

Manchmal schaute er in den Himmel dann. An Sonntagen, an denen es ihm einigermaßen ging, versuchte er das Glück der Familie Midsommer in den Wolken zu finden. So, wie er es seinen Kindern beigebracht hatte, damals. Es war ja schon so lange her. Der Ole Frederik Petersen hatte seit damals keine guten Sonntage mehr.

Wenn er dann in den Himmel geschaut hatte, ging er hinein. Kümmerte sich um das Feuer. Das Holz knackte. Im Winter legte er Maronen auf die Kaminplatte. Kochte Tee. Las ein Buch.

Bevor er schlafen ging, räumte er die Küche auf.

Manchmal schlief er am Küchentisch ein.

 

Der Kühlschrank summte, die Uhr tickte. Alles war still.

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Grégoire & Stephan (°1)

„Wenn du willst, komm vorbei Grégoire.“ Er lächelte, schelmisch und frivol beinahe, zwinkerte mir zu und griff sich an die Mütze. „Und sorg dafür, dass er wieder schreibt, dieser verkappte Schriftsteller.“ Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Also schaute ich ihn an, diesen Mann, der mir trotz all‘ der Jahre immer noch so fremd geblieben war, und nickte und sagte leise: „Ja Papa.“ Er schlug die Hacken zusammen, klopfte mir, wohl in dem Versuch seiner väterlichen Zuneigung Ausdruck zu verleihen, ein wenig unbeholfen auf die Schulter und nahm seinen Spazierstock wieder zur Hand. „Und bring Stephan mit, morgen.“, rief er mir noch zu, als er schon an der Ecke war. Weder drehte er sich noch einmal um, um meine Antwort abzuwarten, noch hegte er den geringsten Zweifel, dass man seiner Aufforderung nachkommen würde, er rief es mir zu, hinein in den luftleeren Raum zwischen uns, und verschwand.

 

;

 

– Stephan?

– Hm?

Er dreht sich nicht um, er drückt den Ton in das Kissen, auf dem sein Kopf liegt. Ich folge meinem inneren Impuls und fahre ihm durchs Haar, meine Finger tauchen durch das Braun seiner Locken.

Papa hätte gern, dass du kommst.

Ich räuspere mich.

– Morgen.

– Aha.

Stille.

Irgendwo in mir seufzt es. Ich wusste, dass er so reagieren würde. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken. Und irgendwo bewundere ich ihn, ich kann es nur nicht zugeben. Weil er das kann, er kann da stehen und meinem Vater ins Gesicht blicken und ihm seine Meinung sagen. Er macht es meistens nicht, mir zuliebe, das weiß ich, aber wenn er wirklich wollte und wenn er anders dürfte; er würde sofort alles sagen, was er da hält, zurückhält in seiner Brust.

– Grégoire?

Manchmal bricht es heraus aus seiner Brust, wenn da zu viel ist in ihm, wie damals, als er aufgestanden war, einfach aufgestanden und aus dem Raum gegangen. Die weißen Teller hatten geklirrt, das silberne Besteck, das gute, war gegen das Porzellan gestoßen und der Wein in der Karaffe auf dem Tisch hatte sich bewegt. Die Tür war ins Schloss gefallen, laut und hart. Ich hatte darauf bestanden seinen Teller stehen zu lassen, obwohl ich ihn gut genug kannte, aber es war der meine, und der gleichermaßen lächerliche Versuch, den Dingen nicht in die Augen blicken zu müssen. Stephan kam nicht wieder, nur die Nacht irgendwann, sie setzte sich in den Himmel, zwischen die Wolken und schaute mir zu, wie ich Holz aus dem Schuppen holte, und nachlegte im Kamin. Sie setzte sich auf die Fensterbank irgendwann, die Nacht, und fragte sich wohl, warum ich meinem Geliebten nicht hinterhergelaufen war, warum ich hier saß, in meinem Stuhl vor dem Kamin, mit einem Buch in der Hand, in dem ich sowieso nicht wirklich las, weil meine Gedanken so weit weg wanderten. Er ist bestimmt noch draußen, dachte ich, er rennt jetzt bestimmt die halbe Nacht im Dunkeln umher. Hoffentlich bricht er sich nichts. Ich kannte die bretonischen Berge und die Steine, die man nicht sieht, und die man nicht sehen kann, wenn man nicht über sie gestolpert ist seit Kindertagen. Ich schaute sie an, die Nacht, die da draußen auf der Fensterbank saß, und sie schaute zurück, und dann erschraken wir beide, weil wir plötzlich erkannten, wo wir in diesem Augenblick eigentlich hätten sein sollen.

Die Katze sprang auf die Fensterbank und die Nacht verschwand, sie flog zurück in den Himmel und setzte sich wieder zwischen die Wolken.

Ich hörte Schritte, und spürte, dass mein Herzschlag sich beschleunigte, in der leisen, aber wie mein Kopf sagte, unbegründeten Hoffnung, Stephan könnte da jeden Moment zur Tür hereinkommen. Aber es war nur meine Mutter. Sie hatte Kartoffeln aus unserem Kartoffelkeller geholt, für die Suppe morgen, und sie nahm das Brett von der Wand, das große Holzbrett, auf dem wahrscheinlich schon die Mutter ihrer Mutter Kartoffeln und Karotten geschnitten hatte, nachdem sie sie, wie es Arianne jetzt auch tat, gewaschen hatte im stahlsilbernen Spülbecken der Familie Acieraux.

Papa will, dass du wieder schreibst.

– Aha.

Er schaut mich an, er hat sich aufgerichtet in einer einzigen, fließenden Bewegung und das Licht, das durch das Dachkammerfenster hereinfällt, zeichnet das Spiel seiner Muskeln nach, klar und hell.

– Und was willst du? He?! Grégoire?

Seine Stimme wird lauter, ich habe das kommen sehen, und der Griff seiner Hände im weißen Laken fester.

– Grégoire, was willst du?!

Seine Augen funkeln mich an, grün, sie sind grün gewesen immer schon, und immer muss ich denken an die Berge und das Gras und das Heuen im Sommer, wenn ich sie sehe, diese Augen. An den Frühling. Und die Lust.

– Du kennst ihn doch, … du weißt doch, wie er ist…

– Achso, ja, das stimmt natürlich, Grégoire, das hätte ich ja beinahe vergessen.

Blanker Hohn spricht aus seiner Stimme und das Weiß seiner Fingerknöchel ist jetzt fast so scharfklar, wie das Licht auf seinem Körper. Sein Blick ist kalt und verständnislos.

– Warum? Warum muss ich immer Rücksicht auf ihn nehmen?! Warum nimmt nicht mal einer von euch das Wort, warum nehmt ihr es ihm nicht ein einziges Mal?! Ja, ich weiß: ‚Stephan, du musst Rücksicht nehmen, du musst das verstehen‘ … warum nimmt denn keiner mal Rücksicht auf deine Mutter, deine Schwester?

Er ist aufgesprungen, seine Worte sind ein lautes Schreien geworden, ein Crescendo der Wut, einer Wut, die seit Jahren wächst aus der Ohnmacht, die er wohl empfinden muss bei all dem.

Er zieht sich an. Vergisst sich zu rasieren, später wird er sich darüber ärgern, das weiß ich genau, aber er wird nicht zurückkommen, dafür ist er zu stolz.

Stephan zieht sich die Jacke an, die braune, seine Lieblingsjacke, er schnürt seine Stiefel, dafür nimmt er sich immer Zeit und Ruhe, er tut es mit Bedacht. Dann zwirbelt er seinen Schnurrbart vor dem Spiegel, dreht sich zu mir um und flüstert tonlos: »Dass man auf uns keine Rücksicht nimmt, erwarte ich ja gar nicht mehr.«

 

Er gibt mir keinen Kuss, er sagt mir nicht, dass er an mich denken wird, den Tag über. Er geht hindurch, durch die Tür, und macht sie zu hinter sich. 

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reflex



Als ich jünger war, die meisten würden sagen klein, musste ich zum Arzt. Ich sollte mich auf die Liege setzen, nicht hinlegen, das schien dem Herrn Doktor sehr wichtig zu sein, denn seine Stimme hatte den Ton, den die Stimmen von Erwachsenen immer annehmen, wenn sie über kiloschwergewichtvolle Dinge sprechen. Er nahm einen kleinen silbernen Hammer und zuppelte mein Becken ein wenig weiter nach vorne, sodass meine dünnen schlaksigen Beine, die mein Vater immer als Kackstelzen bezeichnet hatte, frei schwangen in der Luft über dem Boden. Heute weiß ich übrigens, dass ich bei dieser Untersuchung damals viel aufmerksamer hätte sein müssen, denn ich würde gerne diesen Trick beherrschen und die exakte Gradzahl des damaligen Winkels wissen, damit meine Beine wieder einmal frei schwingen können heute in meinem vollgepackten Leben. Aber ich möchte an keiner Universität der Welt Medizin studieren und seit ich kann, gehe ich nicht mehr zum Arzt. Der, zu dem ich damals gehen musste, meine Mutter hatte mir das verklickert, und zwar mit einer selbst für ihre Verhältnisse sehr kiloschwergewichtvollen Stimme, hatte dann einen kleinen silbernen Hammer genommen, in seine rechte Hand, und er hatte damit geklopft auf meine Knie, erst auf das eine, dann auf das andere. „Das machen wir, um deine Reflexe zu testen.“, sagte er mit einer Stimme, die wohl ruhig wirken sollte, ich allerdings war nicht viel mehr als höchst irritiert, denn zum einen machten wir hier gar nichts, und zweitens wusste ich von meinem Bruder, dass man eine Rolex nicht testen brauchte, das war nämlich etwas, das man entweder hatte, und das auch mit einer sehr kiloschwergewichtvollen Stimme vortrug oder eben nicht. Mein Knie, das eine nach dem anderen, hüpfte derweil, seinen leichten Schlägen folgend, nach oben und es schien, als würde der Arzt zufrieden sein mit dem was er da sah. Vielleicht ist damals mein bis heute anhaltendes und so tiefsitzendes Misstrauen in Ärzte gewachsen, denn ein Arzt, der mit einem kleinen silbernen Hammer in seiner rechten und einer schwergewichtigen Stimme in der linken Hand von sich in der Mehrzahl spricht und versucht eine Rolex in zwei Kinderknien zu testen, ja, das erscheint mir auch heute noch recht seltsam.

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metallgießer



Das mit dem Suchen und dem Finden ist immer so eine Sache. Plötzlich ist es dann da. Dieses Gefühl, und zumeist ist es sehr unbestimmt zu Beginn. Ich weiß nicht, wonach ich suche, vielleicht weiß ich nicht einmal, ob ich überhaupt suche, oder ob ich es mir nur einbilde, aber da ist plötzlich etwas anders in mir und meinem Sein.

Da kribbelt es sich plötzlich durch meinen Körper hindurch und so hoch hinauf, dass ich gar nicht wirklich weiß, wohin es will. Vielleicht in den Himmel. Vielleicht kommt es ja auch von dort, schließlich kehren alle Dinge wieder zu ihrem Ursprung zurück. Zumindest wenn man sie lässt. Ein schöner Gedanke, denke ich, weil dann ja alles, was aus dem Himmel fällt, auch irgendwann wieder zurückspringt. Mein Herz hüpft, es hüpft sehr laut sogar, als mir diese Erkenntnis plötzlich bewusst wird. Jetzt muss ich aber aufpassen, denke ich bei mir, nicht, das mein Herz gleich in den Himmel hüpft, denn so stark und hoch, wie es gerade hüpft, kommt es bestimmt von ganz weit oben. Und ganz weit oben ist ja quasi der Himmel.

Manchmal macht mein Herz auch ganz verrückte Sachen, dann will es zwar auch aus meiner Brust heraus, aber nicht nach oben, sondern im Gegenteil, manchmal will es nach unten, manchmal zurück, manchmal nach vorn, und in ganz seltenen Fällen bleibt es für ein paar Momente einfach stehen. Wenn ich die Dinge genau betrachte, denke ich bei mir, dann heißt das ja, dass der Himmel eigentlich überall sein muss. Oder, dass er zumindest überall sein kann. Jetzt muss ich schmunzeln. Ich mag diese Idee, dass der Himmel überall nur einen Herzhüpfer weit entfernt ist, dass er überall da ist, wo ich meinem Gefühl folge.

Bleibt nur die Frage, warum das Herz manchmal anfängt zu hüpfen. Und warum es manchmal stehen bleibt. Warum es manchmal singt und manchmal schweigt.

Darüber muss ich eine Weile nachdenken.

Vielleicht liegt es daran, dass ein Herz immer eine gewisse Resonanz braucht. Etwas, das es zieht. Wie bei Magneten. Je näher sich die beiden Pole kommen, desto stärker wird die Anziehungskraft. Das würde natürlich bedeuten, dass die Welt ein ganz schön magnetischer Ort wäre, und das würde dann schwierig werden, mit dem Hüpfen. Denn gezogen werden ist ja nicht wirklich dasselbe wie springen. Hm.

Aber vielleicht ist es eher so, dass das Herz einen Anker braucht, von dem es anfänglich in die Höhe gezogen wird, so lange, bis es sich wieder daran erinnert, wo es herkommt, das es aus dem Himmel kommt, und dass es ganz von selbst und aus eigener Kraft dorthin wieder zurückspringen kann. Das Leben auf der Erde muss ja ziemlich spannend sein, denke ich, mit sonderbaren Magneten und Anziehungskräften, mit Herzen, die in einen Himmel hüpfen, der eigentlich überall sein kann, und mit Ankern, die diese wundersamen Herzen in die Höhe ziehen. Scheinbar wissen die meisten Menschen also gar nicht, dass sie all die Jahrtausende über Anker komplett falsch verwendet haben, denn normalerweise ziehen Anker ja eher nach unten, denke ich bei mir. Aber dann wird mir bewusst, dass das wohl schon so richtig gemacht wird, wie die Welt das macht, ich hatte für einen Moment komplett vergessen, dass der Himmel ja auch unten sein kann. Und dann würde die Welt die Anker ja wieder richtig verwenden.

Ich hätte vielleicht Matrose werden sollen, dann hätte ich allen Menschen ganz fachmännisch von meiner Anker-Theorie erzählen können. Aber die Menschen, deren Herzen noch hüpfen können, glauben mir bestimmt auch so, er ist ja schließlich auch sehr logisch der ganze Gedanke. Oder vielleicht hätte ich lieber Schweißer oder Ingenieur werden sollen. Oder Metallgießer. Dann könnte ich den Menschen, bei denen das Herz nicht mehr hüpft, wahrscheinlich viel besser helfen. Dann würde ich sie besuchen kommen, mit einem Maßband, das wahre Schönheit misst, und einer Waage, die auf die Erdanziehung geeicht ist, denn ich muss ja die Kraft berechnen können, damit dieses Herz wieder ganz weit nach oben kommen kann, denn ganz weit oben ist ja quasi der Himmel. Und ich würde es vermessen, das kaputte Herz. Ich würde dann zurückfahren, in meine Werkstatt, eine Zeichnung anfertigen, Metall erhitzen, die Form wählen und einen neuen Anker gießen. Und dann führe ich zurück und nähme das kaputte Herz und ich würde den Anker in die Wolken hängen, denn die Wolken sind ja auch ganz weit oben.

Vielleicht würde das der Welt ein wenig helfen.

 

Ich glaube, die Welt braucht mehr Metallgießer. 

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